30.05.2015

Kunstpreis der Stadt Dresden


Am 29.Mai 2015 überreichte uns der Erste Bürgermeister Dirk Hilbert nach einer etwas hilflosen Rede den Kunstpreis der Stadt Dresden.
Grandios waren der Auftritt von Sønderling mit seinem Song "Antigøtzen" und die beiden Laudatoren Daniel Williams und Helmut Raeder, vielen Dank Euch!!!

Und hier noch einmal Ausschnitte aus unseren Dankesworten:
Hm. Dresden. …
Was soll man da sagen, zunächst: Vielen Dank. Wir hatten ja nun bereits zwei Monate Zeit, um uns über diese Auszeichnung zu freuen. Und da kommen einem allerhand Gedanken …
Dresden, du bist ja eine ganz besondere Stadt, wie soll man sagen? Wie viele Pläne haben wir in den letzten Jahren gemacht, von hier fortzugehen. Immer wieder. Aber da scheint ein mysteriöser Klebstoff am Grunde dieses Talkessels zu stecken, der es einem recht schwer macht …
Unser geschätzter Musikerkollege Tobias Herzz Hallbauer fand einmal dieses wunderbare Briefzitat des Vormärzdichters Robert Prutz an seinen Kollegen Georg Herwegh vom 12. März 1848, das wir immer wieder gerne schmunzelnd nachlesen:
"Den allertrübsten Fleck in Deutschland hab ich im Augenblick inne: Dresden, das Land der Kuchenfresser, die verwaschenste, farbloseste breiweichste Generation, die es in Deutschland gibt: Volk wie nasser Schwamm, nicht Welf, nicht Ghibellin, bloße träge Maulaufsperrer, die immer noch glauben, das alles geschehe bloß "draußen" und bloß, damit sie zu ihrem schlechten dünnen Kaffee alle Morgen eine interessante Zeitung zu lesen haben."

Es gibt Tage, da sprechen mir diese Briefzeilen aus tiefster Seele. - Und doch, Dresden, sind wir auf kuriose Weise mit dir verbandelt.

Es gibt hier ein paar Dinge, die es so nirgends auf der Welt gibt, für die uns Menschen aus aller Welt beneiden: Zum Beispiel - der Schaubudensommer Dresden – im wahrsten Sinne des Wortes für uns ein Lebenselixier. Ja, und es gibt außergewöhnliche Menschen, die uns hier halten, ein Netz von ungewöhnlichen Spinnern, Helfern, Musikern, Eselflüsterern, Technikern, Lichtkünstlern, Kritikern, Kollegen und Freunden.
Und ein großer Teil dieser Menschen – DAS ist die Compagnie Freaks und Fremde, sie alle sind letztlich die Teilhaber dieses Kunstpreises – die meisten davon sind heute hier im Saal:
Bärbel Haage – Szenografin / Christian Zimmermann – Best Boy / Daniel Williams – Musiker, Komponist und Sounddesigner, Philosoph, Querdenker, lebendes Wörterbuch / Falk Dittrich – Lichtkünstler, Mann für komplizierte Probleme und richtig guter Freund / Frieder Zimmermann – Musiker, Komponist und Utopist / Hanno Wuckasch - Puppenspieler / Jojo Werth – Lichtdesigner, leidenschaftlicher Techniker, Freigeist, Punk / Judith Hellmann – Produktionsleiterin und Managerin /
Jule Oeft - Tänzerin, Tochter / Karin Herrmann - Puppenspielerin / Max Reiniger – Regiemitarbeiter, Dichter und Punk / Mirjam Schollmeyer – Puppenspielerin / Rita Hausmann – Bühnen- und Kostümbildnerin, Freundin und Verbindung in ein früheres Leben / Shahab Anousha – Schauspieler und Tänzer / Sebastian Nass – Fotograf, Grafiker und Tänzer / Tanja Mette - Dramaturgin / Tobias Herzz Hallbauer – Musiker und Komponist, Punk / Vineeth Surendranath – Genetiker und Performer, Philosoph und Frager / Vladimir Vaclavek – Musiker und Komponist / Wiebke Bickhardt – Tänzerin / Yamile Navarro – Tänzerin / Yvonne Brückner – Bildnerin, Filmemacherin, Keramikerin / Yvonne Dick – Malerin und Ausstatterin, unruhiger Geist, Suchende ...

Wir danken Euch allen! Mit dem Kunstpreis, der uns heute zu Teil wird, wird unsere gemeinsame Arbeit geehrt.
 
Vielen Dank an  André Wirsig für dieses Foto (2008)
Wir wollen uns an dieser Stelle auch bei den Menschen bedanken, die is Theater gehen, bei unseren Zuschauern, die bereit sind, sich mit uns zu unterhalten - die uns ihe Zeit schenken, sich dem nicht alltäglichen ungewohnten Moment der Theater-Vorstellung aussetzen, dem flüchtigen Moment des manchmal auch Unverständlichen und Fremden eines im besten Falle merkwürdigen Erlebens. Das Publikum - das sich für kurze Zeit mit uns auf eine Reise begibt, sich von uns und mit uns bewegen läßt und dabei dennoch Zuschauer ist, der staunen kann und irritiert sein darf und das auch noch genießen kann ...



Der Kunstpreis der Stadt Dresden – wir sehen diesen Preis als Ehrung und Anerkennung, vor allem aber auch als Verpflichtung. - Für uns,einen Weg weiter zu verfolgen, den wir eingeschlagen haben und nur allzu oft inkonsequenterweise auch immer wieder verlassen.
Und: Mit unseren Inszenierungen und Projekten in dieser Stadt noch viel präsenter zu sein. Im Moment spielen wir vor allem außerhalb von Dresden, ja, und genießen und brauchen diese überregionalen, internationalen Kontakte und Begegnungen. - Aber auch als Satelliten brauchen wir eine Homebase, eine Tankstation, einen Ausgangspunkt, an dem wir produzieren, experimentieren und auch mal scheitern können. Wir sind froh über alle Möglichkeiten, die wir hier haben, zum Beispiel die Projektförderungen. Aber wer Projekte fördert, muss ja auch ein Interesse haben, dass diese hier in dieser Stadt auch maßgeblich präsentiert werden können.
Wir spielen heute Abend im Societaetstheater – die nächsten Vorstellungen in Dresden zeigen wir im Oktober … Das wollen wir ändern.
Und da spielen wir den Ball der Verpflichtung unserem Mitspieler, der Stadt Dresden, zu:
Es gibt in dieser Stadt kein Produktions- und Theaterhaus für Freies Theater, die in anderen Städten gleicher und kleinerer Größe eine spannende Selbstverständlichkeit sind. Junge Künstler verlassen die Stadt oder kommen eben gar nicht erst hierher.
Wir haben das große Glück, eine der Gruppen zu sein, mit denen das Societaetstheater Dresden einen mittelfristigen Kooperationsvertrag geschlossen hat. Doch sieht der Geschäftsführer Andreas Nattermann des Theaters sein Haus nicht als DAS Produktionshaus und Heimstatt Freier Theater-Ensembles in Dresden, hat uns aber bei all unseren Bemühungen, uns für ein solches Haus in Dresden einzusetzen, seine vehemente Unterstützung zugesagt.
Wir sind keine Bittsteller, wir sind keine Compagnie, die abwartet oder um Erlaubnis bittet. Also beginnen wir etwas. – Mit einigen utopischen Mitstreitern haben wir uns in das zum Teil baufällige Objekt in der Meschwitzstr.15 im Industriegelände eingemietet, ehemals Munitions- und Radiofabrik, viele werden es noch als DEREVO-Laboratorium in Erinnerung haben. Und wir versuchen dort etwas, wir proben uns warm in Eiseskälte, wir locken erstaunlich viele Dresdner zu Theater- und Musikspektakeln dorthin.
Das wäre eine Basis, genügend Klebstoff, um noch länger in Dresden hängen zu bleiben und hier auch langfristig unsere künstlerische Basis zu sehen. Wir stehen kurz davor, mit dem Vermieter einen langfristigen Mietvertrag zu unterzeichnen. Und was dann kommt, sind: Investitionen. Von dem Preisgeld werden wir den Grundstein legen, den Apfel hängen wir über den Eingang – und wir laden Sie alle herzlich ein, gemeinsam an diesem Ort mit Theater, Tanz und Musik in den nächsten Jahren das Leben zu feiern und wichtige Fragen zu stellen.
Und dann - reden wir vielleicht über Unterstützung, die wir brauchen, um diesen Ort langfristig für uns und andere Gruppen als kreatives Zentrum nutzen zu können.

Unser besonderer Dank gebührt den Menschen, die Räume schaffen, in denen unsere Arbeit zum Erlebnis wird, die die Tore aufmachen, Plattformen und Brücken bauen, die das Publikum einladen und ermutern mitzumachen, die Risiken eingehen - auch das Risiko, Künstlern und ihrer Kunst zu vertrauen und nach den Wegen suchen oder neue Wege anlegen, auf denen das Publikum die Tür finden kann. Dank unseren Gastsgebern, begeisterten Veranstaltern, die das Umfeld schaffen, in dem Kunst möglich wird  und angenommen werden kann. - Wie zum Beispiel: Helmut Raeder hier in Dresden und Radebeul, Jürgen Becker / Bonn, Silvia Brendenal / Berlin, Peter Fasshuber / Steiermark, Udo Muczinski / Eberswalde ...

„Wir haben die Kunst, damit wir an der Wahrheit nicht zugrunde gehen“, sagt Nietzsche.
Und Wahrheit ist heute: Wen die Politik nicht erledigt, den erledigt die Ökonomie. Wen die Ökonomie nicht plattmacht, der wird von der Verwaltung erledigt. KUNST agiert nicht im Sinne der Politik, sie ist der Ort des Radikalen, des Unmöglichen, nimmt auf Verluste keine Rücksicht, macht keine Gefangenen, sie kennt keine Moral, sagt nicht Auf Wiedersehn und Guten Tag, die Kunst ist nicht freundlich, sie ist zuweilen ein Mistkerl, ein Stachel oder geschmacklos, ein subventionierter Terrorist der Empörung.
Wir brauchen die Kunst, weil sie derzeit eine der wenigen Zonen ist, in denen wir innehalten, nachdenken, hinterfragen, Perspektivwechsel wagen, Visionen ausformulieren. Sie ist eine Sphäre, in der wir das uns von allen Seiten anstürmende Diktat von Wachstum, Wirtschaftlichkeit und absurdem Sparzwang missachten und verlachen! (Ein Gruß an die G7-Finanzminister, die sich dieser Tage im Zentrum Dresdens verschanzt haben!) – Harald Welzer formuliert es wunderbar, und Tobias Herzz Hallbauer hat es in seinem Lied „Antigötzen“ eben so schön zitiert: Die einzig sinnvolle Frage, die uns in unserem Tun anspornen und leiten sollte, ist doch die: WER WOLLEN WIR GEWESEN SEIN?
Geleitet von dieser Frage sehen unsere Entscheidungen doch völlig anders aus, als wenn sie hastig nach Tendenzen, Sachzwängen und vermeintlicher Alternativlosigkeit getroffen werden.
Wer wollen wir gewesen sein? Eine Generation, die die modernste Technik kannte, die sich Konsum- und Sparzwang zugleich auferlegte, und sich dabei immer sagen musste, die besten Zeiten haben wir hinter uns. Eine Menschengemeinschaft, die trotz besseren Wissens die großen Ungerechtigkeiten auf diesem Planeten und die Verteilungskämpfe unter dem Deckmantel humanistischer Missionen vertiefte. Oder wollen wir eine neue Renaissance sein, wirkliche Entdecker und Erneuerer.
Wir sind Künstler, wir kreieren Welten, stellen Fragen, öffnen Abgründen, wir schockieren, wir laden ein, mit uns dieses Leben und seine Chance zu feiern, wir sind vielleicht nur Tropfen auf heiße Steine – vielleicht ...


PS: Für einige gedankliche Anregungen danken wir Carl Hegemann und Harald Welzer.