06.03.2016

ELDORADO Reiseblog#20 / Buenaventura, Nuqui

24.02.2016 / Bucht vor Arusi

Hafenausfahrt Buenaventura

Vor Anker am Paradies, seit Stunden in der Bucht vor Arusi. Unser Schiff, die Valois Mar, bringt Fracht für die Orte an der Küste, die von kleinen Motorbooten, Lanchas, abgeholt und im Wellengang verladen werden - Ziegelsteine, Zement, Wellblech, Zwiebeln, Mehl, Reis, Kartoffeln, Gemüse, Baustahl, ein Motorrad, ein Fahrrad, Kühltruhen, einen Außenbordmotor, eine Schubkarre, Coca Cola, Bier, 15 Schweine, Hühner und allerhand Kram, der in seiner Verpackung nicht zu erkennen ist. Die Lancha-Fahrer kommen an Deck, jeder sucht seinen Kram und dabei steigt ein Gewusel von Männern über die Fracht der anderen, dabei geht auch mal was zu Bruch. Gigo, der Chef, bleibt gelassen, auch wenn sich die Sache hinzieht, ab und an läßt er sich den kleinen Pappkarton mit den Lieferscheinen reichen und steckt die Geldscheine in die Hosentasche, die er für die gelieferte Fracht zugesteckt bekommt. Aus den beiden Fachträumen, aus den Gängen, vom Vorschiff werden Ziegelsteine geholt und in die kleinen Boote gestapelt. Wir schaukeln noch ein paar Stunden herum, obwohl Nuqui schon in der übernächsten Bucht ist. Mit uns warten die 15 Schweine, die im Vorderschiff untergebracht sind.


Buenaventura und das Hafenviertel waren an diesem Dienstag nicht zu vergleichen mit der veregneten Gruselstadt von letzter Woche, die Sonne schien und das mittägliche Treiben war groß ... nach ein paar Stunden Frachtstapeln machten wir uns auf das Schiff und auf die Reise - zunächst durch die dreckige Hafenbucht von Buenaventura, vorbei an den maroden Stadt-Vierteln und Containern mit Fracht aus China und Hamburg-Süd, Plastikmüll-Teppiche treiben an uns vorbei, neben den Anlegern modert Abfall, zusammengebrochene Boote und derlei Kram. Ein Containerschiff kreuzt die Bucht, groß wie eine Stadt.   


Zwei Frauen bekochen die ganze Besatzung, alle schaufeln genüßlich das Essen in sich hinein, es wird gelacht und gequatscht. Manche werfen das Einweg-Plastikgeschirr, das die Leute bekommen, die nicht zur festen Crew gehören, nach dem Essen über Bord -- ich kapier das nicht - mit der Drecksbucht von Buenaventura und diesen unberührten Küsten von Chocó haben die Menschen das "Vorher" und "Nachher" doch so deutlich vor Augen. Keine Ahnung - ich weiß ja auch nicht, wo der Kram landet, den wir in die Mülltonne schmeißen ...
Zwischenzeitlich lese ich weiter bei Harald Welzer ... manche Absätze erscheinen wie aktuelle Kommentare zu unseren Beobachtungen. (Allein die schwierige Frage nach der individuellen Verantwortung ... Was bringt es, in einem Zug, der in die falsche Richtung fährt, in die andere Richtung zu laufen? ...) Sind die Probleme auf der individuellen Verhaltensebene und mit moralischen Kategorien zu bewältigen? Welzer bezweifelt das, Moral und Kategorien wie Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit spielen beim Agieren von Staaten keine Rolle, auch wenn die in ihm organisierten Individuen höchste moralische Ansprüche haben. Dekliniert man sich unsere Gesellschaft zum Beispiel auf ein Individuum herunter, "hätte man dagegen sofort eine soziopathische Person vor Augen, die nicht das mindeste Problem damit hat, das 70-fache aller anderen Personen zu verdienen und trotzdem in erheblichem Umfang deren Rohstoffe zu konsumieren, die deshalb das 15-fache an Energie, Wasser und Nahrungsmittel verbraucht und im Vergleich zu weniger begünstigten Personen das 9-fache an Schadstoffen wieder an die Umwelt abgibt. Diese soziopathische Person ist darüber hinaus kategorisch uninteressiert an den Lebensbedingungen ihrer Kinder und Enkel und nimmt bei all dem in Kauf, dass wegen ihm und seinesgleichen weltweit 852 Millionen Menschen hungern und über 20 Millionen Menschen auf der Flucht sind. - Einen solchen Menschen würde man nach allen normativen Kriterien für sozial nicht integrierbar halten, einfach gesprochen für einen gefährlichen Schmarotzer." (Weiterlesen bei: Harald Welzer "Klimakriege")  



24.02.2016 / Nuqui

Das Verfrachten in den verschiedenen Buchten hat einen ganzen Tag gebraucht, der Tag neigt sich dem Ende zu, als die Valois Mar langsam in den Bodden von Nuqui einfährt, beschirmt von Felsen und kleinen vorgelagerten Riffen, alles ist mit Mangroven bewachsen, die Häuser den auf Stützen, viele aus Holz, aber es ist ein Generationswechsel im Gange zu Stein und Beton ... Eine Menschenmenge begrüßt das Schiff am Anleger, Boote kommen heran. Kaum ist das Boot festgemacht, beginnt ein wildes Gewusel, lautstarke Suche nach der Ware, die einem gehört, zwei Jungen hieven die quiekenden Schweine in ein kleines Boot. Gigo steht mit seinem kleinen Rucksack über der Schulter gelassen und zufrieden am Anleger, sein Geschäft läuft ... er schickt uns mit einer Frau mit, die uns den Weg zu unserer Unterkunft weist. Auf der Strasse rufen ihr Bekannte nach - "Ich rede nicht mit Schwarzen!", ruft sie lachend und die anderen lachen zurück. - Wir sind in Chocó - das Herz von Afrokolumbien!